Das Beste an Comedy ist die Abwesenheit von Drama.
Und in dieser Hinsicht punktet »Gochuumon«, wo es nur geht. Über die Jahre ist sich das Franchise treu geblieben und konzentriert sich auf eine Reihe Mädels, die meist furchtbar aufgedreht, übertrieben kawaii und ziemlich genki sind, manchmal aber auch sehr nachdenklich und ungewohnt introvertiert. Aber oft auch tapsig, desorientiert und knuddelig zugleich. Was anderswo nervt, gerinnt hier zu einer harmlos-heiteren Wohlfühlserie, einer gelungenen Mischung aus Slice of Life und warmherzigem Shoujo, wo sich alle liebhaben, ohne jedoch auf offensichtliche Yuri-Vibes zu setzen. Für den Zuschauer, der dafür empfänglich ist, das perfekte After-Work-Entspannungsbad, ganz hart an der Grenze zu Iyashikei.
Besucht Colmar!
Das scheint immer wieder zu subkutane Botschaft zu sein, die der Anime vermittelt. Und die Meute der Fans besucht Colmar und sie begeben sich auf die Spuren ihrer Idole, stellen Bilder des Real Life den entsprechenden Screenshots gegenüber und spähen die verschiedenen Locations aus, die im Anime eine Rolle spielen. Daß in der allgemeinen Beschreibung der Örtlichkeit kurz mal 700 Jahre deutscher Kulturgeschichte unter den Tisch fallen wie hier zu sehen, nimmt man achselzuckend hin und fragt nicht mal, ob das Ignoranz oder einfach nur Schmalspur-Chauvinismus sein mag.
Der Anime jedenfalls gibt sich da internationaler, es gibt Takoyaki neben Crêpes, Aufschriften, die französisches Flair verbreiten sollen, manchmal deutsche Einsprengsel, die man so eher nicht in Colmar finden wird, eine eigentümliche Variante der Marianne [WP], dazuhin japanischen Linksverkehr. Und um die Attraktivität des Ortes zu erhöhen, verlegt man die Stadt direkt an den Rhein. Nun ja.
Andere Bezugspunkte sind einigermaßen plausibel, beispielsweise der Grand Ballon [WP] im Hintergrund des Landschaftpanoramas. Vielleicht spricht es sogar für den Geschmack der Produzenten, daß man den selbst für japanische Verhältnisse leicht grotesken Anblick des Münsterturmes [WP] umgangen und stattdessen eine Kirche ins Stadtbild eingepflanzt hat, die es dort nicht gibt, die aber eher den Vorstellungen ordentlicher Architektur entspricht. (Wo sie dieses Gebäude hergeklaut haben, konnte ich nicht rausfinden; möglicherweise Scherwiller – Hinweise gerne per Mail.)
Noch ein Detail, das auffällt: man hat keine Angst vor Farbe. Alles ist über die Maßen bunt und grenzwertig kitschig, blumenbehangen und totdekoriert*, daß man sich keinen Begriff davon machen kann. Das Buntsein ist jedoch durchaus auch in der Realität so, nur weniger in Colmar selbst als vielmehr in den umliegenden Gemeinden. Wieder werden mit Begeisterung landestypische Spezialitäten adaptiert, so daß der Rezensent nun neben "Baumkuchen" und "Eierschecke" auch "Stollen" seiner Liste deutscher Entlehnungen zufügen kann.
*angesichts dieses Ungetüms von Weihnachtsbaum fällt doch tatsächlich der Satz "aber wir müssen ihn noch dekorieren".
Inhaltlich und die Charaktere betreffend gibt es eher wenig zu berichten. Es gibt auch hier eine ganze Reihe SoL-Stationen, wie sie praktisch bei jedem Anime mit Grundschülern auftauchen. Eigentlich gibt es nichts, woran man sich hinterher noch erinnert, und doch hat es das Studio geschafft, 12 Folgen mit irgendwelchen Begebenheiten vollzustopfen, die einen ähnlich entspannt und zufrieden zurücklassen wie eine Tasse heißer Schokolade.
Diese genretypischen Situationen scheinen in dieser Staffel zu dominieren, was auch damit zu tun hat, daß die Frage nach dem Morgen allmählich in den Mittelpunkt rückt. Darum drehen sich fast alle Probleme und Unterhaltungen und bilden so den roten Faden der gesamten Serie. Trotz alledem sind die Mädchen auch hier über die Maßen aufgedreht (waren sie das früher schon?) und raisonnieren über Trennung, über ihre Zukunft, oder zumindest, auf welche Oberschule sie gehen wollen. Nie jedoch war ein Bunkasai so bunt wie heute! Und apropos Fest: So, wie die alle den (frischen?) Apfelsaft wegsaufen, müsste das zu epischer Scheißerei führen und alle Toiletten belegt sein.
Künstlerisch sieht das alles sehr gut aus, und man merkt kaum, wie man sich um animatorischen Aufwand gedrückt hat. Es ist schon recht geschickt kaschiert, wie wenig bzw. wie sparsam man überhaupt Bewegungen animiert hat und, gerade beim Gehen, auf Loops ausgewichen ist. Dafür darf sich der Zuschauer an vielen feinen Andeutungen und Anspielungen erfreuen, auf die nicht weiter eingegangen wird, die man aber dennoch gut einordnen kann. Spielerisch subtil sind die vielfältigen Zitate, wie zum Beispiel von »Azumanga Daioh«, und spielerisch gestalten sich auch die kunstvoll arrangierten Tableaus.
Häufig zeigen die Episoden heitere Ereignisse im Tagesverlauf, so daß eine Folge meist in einem friedlichen, stillen Abend endet, wo man die Abenteuer des Tages noch einmal Revue passieren lässt. Wir begleiten die süßen Mädchen durch den Lauf des Jahres, erleben ein Halloween, das wohl als eine Art Karneval verstanden wird, und nehmen Abschied am klassischen Scheidepunkt japanischer SoL-Animes: dem Neujahrsfest – das uns mit dem hinreißend einfachen wie eingängigen "Zutto issho ni" [Youtube] in einen Alltag entlässt, der nun wieder ein wenig heller und erträglicher scheint.
Und ganz nebenbei sind alle wieder ein Stück größer und erwachsener geworden.
Beitrag wurde zuletzt am 26.03.2024 22:52 geändert.